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Nr. 6: Immobilien: Gelegenheit beim Schopf packen

Rückblickend staune ich immer wieder, wie man beim Liegenschaftenerwerb von Wirtschaftsflauten profitieren kann. Bei Aktien ist mir dies viel weniger gelungen, obwohl ich als Wirtschaftsredaktor eigentlich dem Puls der Zeit nahe war. Die schwierigen Rezessionsjahre nach 1973, als eine Viertelmillion Fremdarbeiter die Schweiz verlassen musste, boten jenen einzigartige Gelegenheiten, die über flüssige Mittel verfügten.

Erstmals lernte ich die Segnung der „Mund-zu-Mund-Propaganda“ kennen. Ohne jeden Hintergedanken äusserte ich einem alten Studienfreund gegenüber die Absicht, eine Eigentumswohnung zu erwerben. Nicht entfernt rechnete ich damit, von ihm den entscheidenden Tip zu bekommen – und der Glücksfall sollte sich wiederholen. Der Jurist hatte nach sieben Jahren im kantonalen Steueramt den Wunsch, in eine Beratungsfirma einzusteigen. Der wunde Punkt: es fehlte ein Teil des Einkaufskapitals. Ich sprang ein, obwohl allgemein davon abgeraten wird, Freunden Geld zu leihen. Heute wird man fast rot zu gestehen, dass der Zinssatz 8 Prozent betrug. Bei den damals ähnlich hohen Inflationsraten war dies jedoch Usanz. Er konnte die Zinsen problemlos tragen und dank des höheren Einkommens am neuen Ort bald auch das Darlehen zurückzahlen. Wir treffen uns bis heute regelmässig.

Von einem der Partner seiner Steuerberatungsfirma, der mich bei Strategiegesprächen kennen gelernt hatte, kam 1977 unerwartet ein Anruf: An der Neptunstrasse, wenige Gehminuten hinter dem Zürcher Schauspielhaus, also im begehrten Stadtkreis 7 mit der prestigeträchtigen Postleitzahl 8032 (Zürichberg), waren noch zwei Eigentumswohnungen unverkauft. Die erste Besichtigung war niederschmetternd. Das angebaute Jugendstilhaus mit Baujahr 1891 befand sich in einem derart erbärmlichen Zustand, dass nur noch Randständige dort wohnen mochten. Der Generalunternehmer hatte mit einem anderen alten Gebäude an der Neptunstrasse die leidige Erfahrung gemacht, dass jeder Käufer je nach finanzieller Lage selber renovierte, was jahrelangen Baulärm und -staub bedeutete. In unserem Fall verpflichteten sich die Erwerber deshalb zur gemeinsamen Renovation vor dem Einzug.

Von den fünf Stockwerken waren die drei obersten mit Seesicht bereits vergeben. Mir blieb die Wahl zwischen Parterre mit Zusatzraum im Untergeschoss und Aussenparkplatz und der 104-Quadratmeter-Wohnung im 1. Stock, die ich dann wählte und für 125 000 Franken im alten Zustand kaufte. Da nur drei Parkplätze vorhanden waren, konnte ich Nichtautofahrer problemlos verzichten. Vermutlich haben andere Interessenten gerade dieses Mangels wegen von einem Kauf abgesehen.

Das Umbaurisiko war beträchtlich. Ein letzter renitenter Mieter verzögerte den Baubeginn immerhin nur um einen Monat. Weder waren mir der Generalunternehmer noch der Architekt bekannt. Um aktuellen Statik-Vorschriften zu genügen, mussten T-Balken aus Stahl eingezogen werden. In einer frühen Bauphase sah man vom Erdgeschoss ein grosses Loch in allen Zwischenböden bis unters Dach. Ich erinnere mich an Alpträume, die ganze WC-Anlagen seien in den Keller herunter gerasselt.

Mit insgesamt rund 300 000 Franken und fast hälftiger Anzahlung bin ich zu einer modernen Vierzimmer-Wohnung mit Spannteppichen, Vorhängen und Einbauten nach eigenem Gusto gekommen. In nur sieben Minuten zu Fuss war der Arbeitsplatz zu erreichen und fast so wichtig: auch mein damaliges Single-Stammlokal, der Nightclub „Terrasse“ am Bellevue, dem ich später einen satirischen Roman gewidmet und den nächsten, noch viel lukrativeren Liegenschaftenkauf zu verdanken habe.