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Nr. 17: Vertrackter Vertragstext:“non più di due piani“ bringt 150‘000 Franken tieferen Erlös

Gekauft ist schneller als verkauft, merkten meine Frau und ich während der Nerven aufreibenden Parallelverhandlungen in Frankreich und im Tessin. Nur vier Tage nach der Besichtigung der alten Mühle am Fuss der Südvogesen kam vom Schweizer Vermittler nach Rücksprache mit seinem französischen Kollegen die erlösende Botschaft: Die Besitzer waren mit unserem Angebot - 2 Millionen Francs statt 2,2 Millionen - einverstanden. Vier weitere Tage später, Ende Juli 1989, unterschrieben wir den Vorvertrag. Offenkundig war das bejahrte Verkäufer-Ehepaar froh, ihr lange nicht mehr bewohntes Objekt loszuwerden.

Zähflüssiger entwickelte sich der Verkauf des Einfamilienhauses an der Via Belvedere 1 in Lugano-Castagnola. Nach schlechten Erfahrungen mit zweifelhaften Maklern kam meine Frau auf die naheliegende Idee, einen Anstösser anzufragen. Diese immobilien-Gesellschaft besass einen kleinen Spickel Land, auf dem kaum ein Gartenhaus bewilligt worden wäre. Ihr Geschäftssitz befand sich keine 200 Meter entfernt, und meine des Italienischen mächtige Frau nahm mit den Inhabern, einem Ex-Jugoslawen und einem Norditaliener, Kontakt auf. Der erstere hatte ein Auge auf eine in der Nachbarschaft wohnhafte deutsche Dame geworfen, die bei uns ein- und ausging und ihrerseits einen möglichen Käufer in der Hinterhand hatte.

Nun begann ein theaterreifes Verwirrspiel, das in einem ernüchternden Fazit endete: Der Ex-Jugoslawe entdeckte auf dem Grundbuchamt Bellinzona (nicht etwa auf jenem in Lugano) einen uns unbekannten verhängnisvollen Vertragstext von 1948: Die Bauhöhe unserer Parzelle in der Mehrfamilienzone 3a war beschränkt auf „non più di due piani“ und auf dem höchsten Punkt am Hang „da terra fino al colmo del tetto i dieci metri“. Dieses Servitut schützte die Aussicht des Grundstücks oberhalb des unsrigen und besagte, dass nur ein zweigeschossiges Gebäude und höchstens 10 Meter über dem höchsten Punkt errichtet werden durfte.

Ein dümmliches Missverständnis sollte uns viel Geld kosten. Den Vertrag hatten 41 Jahre zuvor zwei Deutschschweizer abgeschlossen, jedoch auf Italienisch. „Piano“ heisst Geschoss (pianterreno = Parterre). „Due piani“ meint also Erdgeschoss und 1. Stock. Im Deutschen hat „Stockwerk“ eine andere Bedeutung, indem ein zweistöckiges Gebäude drei Geschosse enthält. Mit gesundem Menschenverstand hätte die zweite Vertragsklausel gegolten: höchstens 10 Meter über dem höchsten Punkt, was drei Geschosse erlaubt hätte.

Nun schaltete sich ein Bekannter unserer deutschen Nachbarin ein, früherer Bürgermeister einer Tessiner Gemeinde und Schlangenzüchter: „Warum nur musste dieser alte Vertragstext ausgegraben werden?“ Auf seine Vermittlung erschien am 25. Juli, mitten in unseren Kaufverhandlungen in Frankreich, ein Architekt mit einem schicken Aktenköfferchen, das beim wirkungsvollen Aufschnappen der Schlösser den Blick auf 100‘000 Franken in Tausendern eröffnete. Jeder Makler weiss um die betörende Wirkung von viel Bargeld im Liegenschaftshandel, und nicht nur hier. Allerdings machte auch der Architekt den Vorbehalt der Bauhöhenbeschränkung, sodass kein Abschluss zustande kam.

Zwei Tage danach bekundete der Norditaliener Interesse an einem Kauf, jedoch ebenfalls mit Bauhöhenbedenken. Anderntags meldete die deutsche Dame, der Ex-Bürgermeisten habe einen Interessenten, der 1,1 Millionen zahlen würde. Im August offerierten uns der Ex-Jugoslawe und der Norditaliener einen Kauf in zwei Varianten, bei 10 Metern Höhe und drei Geschossen 1,2 Millionen, bei nur zwei Geschossen 150‘000 Franken weniger. Noch blieben aber der Ex-Bürgermeister und sein Interessent am Ball.

Der vertrackte Vertragstext sollte nicht nur meine Frau und mich während Jahren auf diese 150'000 hoffen lassen, sondern noch mehr die Käufer, um endliche bauen zu können.